Daniel Rapoport über die Unmöglichkeit der Filmproduktion unter kapitalistischen Bedingungen und seine Großeltern Ingeborg und Samuel Mitja Rapoport, in der ARD Charité-Serie .
Die dritte Staffel der ARD-Serie „Charité“ spielt zu Beginn der 1960 Jahre – und kommt damit nicht an Ingeborg und Mitja Rapoport vorbei. UZ sprach mit ihrem Enkel Daniel über Serienmythen und Realität.
UZ: Ihre Großeltern, Ingeborg und Samuel Mitja Rapoport, haben viele Jahre, auch 1961, an der Charité gearbeitet. Was ist Ihr Eindruck von der Serie? Von der „dichterischen Freiheit“ und der Umsetzung, von der historischen Wahrhaftigkeit?
Dr. Daniel Rapoport: Man muss die verschiedenen Mittel unterscheiden, von denen ein Film Gebrauch macht. Sachlich ist vieles zutreffend: Zum Beispiel, dass der DDR durch die offene Grenze ständig Ärzte und andere Fachkräfte verloren gingen. Oder dass es Anfang der 60er in der DDR, im Gegensatz zur Bundesrepublik, eine wirksame Impfung und eine Impfpflicht gegen Polio gab. Was übrigens eine interessante Geschichte ist, denn der Impfstoff war eine Gemeinschaftsentwicklung der USA und der Sowjetunion. Im Sommer 1961 ereignete sich kurz vor dem Mauerbau die Episode, dass Willi Stoph der Bundesrepublik diesen Sabin-Chumakov-Impfstoff anbot, man im Westen aber dahinter eine politische Finte witterte.
Insgesamt glaube ich schon, dass dem Autorenteam der Charité-Serie daran gelegen war, die Aufbaustimmung, die in den 60ern in der DDR herrschte, im Film einzufangen. Es gibt ja auch diesen dramaturgischen Bogen, dass sich die fiktive Hauptperson der Serie am Ende gegen ein Angebot aus dem Westen und stattdessen für die Charité – also auch für die DDR – entscheidet. Trotzdem misslingt diese Absicht letztlich – und zwar weniger durch sachlich Falsches oder politisch Übelmeinendes als durch den Einfall, die Serie in den Tagen des Mauerbaus anzusiedeln. Dadurch wird die Mauer sozusagen zur heimlichen Hauptperson der Serie, neben der alle anderen und selbst die Charité zu Kulisse und Statisten werden. Es müssen dann eben ständig Kampfgruppen und Polizisten durchs Bild springen, natürlich muss geschossen werden, irgendein Parteisekretär ergeht sich in drohend-zweideutigen Bemerkungen, es wird immerfort übers Eingesperrtsein geredet und so weiter. Letztlich wird dadurch wieder die altbekannte stereotype und einseitige DDR-Erzählung reproduziert, über die nachzudenken nicht lohnt und aus der sich auch gar nichts lernen lässt.
Was die Gestaltung der Figuren meiner Großeltern betrifft: Mein Großvater ist völlig falsch getroffen, aber er ist, wie auch die Kinder meiner Großeltern, letztlich nur Staffage in der Serie. Insofern empfinde ich diese Ungenauigkeit zwar als grob, aber auch als lässlich. (mehr…)